Das
wir Deutschen immer weniger und älter werden, ist mittlerweile bekannt.
Aber wie kann und muss die Politik, müssen Städte und Gemeinden darauf
reagieren? Susanne Tatje, Deutschlands erste Demographiebeauftragte,
gibt bei vorwärts-online Antworten.
vorwärts-online: Frau Tatje, was macht eigentlich eine Demographiebeauftragte?
hat im April 2004 die neue Stabsstelle „Demographische
Entwicklungsplanung“ in seinem Dezernat eingerichtet. Dadurch hat er
den Themenkomplex hochrangig in der Verwaltung verankert. Und auch mit
Kompetenzen ausgestattet wie ein Mitzeichnungsrecht bei
Planungsvorhaben, das dafür sorgen soll, dass der demographische Faktor
bei künftigen Entscheidungen berücksichtigt wird.
Susanne Tatje, Demographiebeauftragte der Stadt Bielefeld. Foto: Stefanie Behrmann | ||
wissenschaftliche Untersuchungen auszuwerten und das Thema in der Stadt
Bielefeld bekannt zu machen. Eine meine Hauptaufgaben: Ein kommunales
Handlungskonzept entwickeln mit Vorschlägen, wie sich die Stadt
Bielefeld auf die zukünftigen Herausforderungen durch den
demographischen Wandel einstellen kann, also Entscheidungshilfen für
die Zukunft zu geben.
Dieses Konzept mit dem Titel „Demographischer Wandel als Chance?“ liegt
inzwischen vor, es ist nach intensiven Beratungen Ende August 2006
fraktionsübergreifend und einstimmig im Rat der Stadt Bielefeld
beschlossen worden und wird jetzt umgesetzt.
Wie können Städte und Gemeinden auf den demographischen Wandel reagieren, haben sie überhaupt Handlungsmöglichkeiten?
Wir können den demographischen Wandel nicht aufhalten oder gar
umkehren, darüber sind sich alle Experten einig. Aber: Wir können die
Veränderungen in unseren Städten und Gemeinden mitgestalten und in eine
positive Richtung lenken. Und uns im Kern darüber verständigen: Was für
eine Stadt wünschen wir uns? Und auf welcher Basis von Werten und
Normen wünschen wir uns diese Stadt?
Denn es liegt an uns, ob wir alte Menschen in unserer Gesellschaft
isolieren oder ob wir engagierte Seniorinnen und Senioren in unser
Gemeinwesen einbinden. Es liegt an uns, ob das Zusammenleben künftig
durch soziale und kulturelle Konflikte geprägt sein wird oder ob es
gelingt, die verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu integrieren. Wichtig
ist vor allem: Wir müssen jetzt aktiv werden.
Aber in den Städten und Gemeinden ist eine positive Leitbildentwicklung
mit entsprechenden langfristigen Strategien für politisches Handeln
immer noch eher selten. Auf den ersten Blick verwundert das, denn der
Demographische Wandel ist inzwischen das Medienthema geworden. Aber –
ein zweiter Blick – wenn wir uns mit den Folgen befassen, müssen wir
weit reichende Perspektiven und Strategien in den Blick nehmen – und
die reichen deutlich über die nächsten Wahltermine hinaus. Das erklärt
vielleicht das Zögern. Trotzdem: Wir brauchen unbedingt positive Ziele,
um den demographischen Wandel kreativ zu gestalten.
Eine entscheidende Voraussetzung, um das Demographiethema erfolgreich
in einer Kommune zu verankern ist in meinen Augen eine einheitliche
Strategie und politisch abgestimmte langfristige Ziele und damit
Planungen. Wir benötigen passgenaue Vorschläge für unsere Städte, die
wir – ganz wichtig – zusammen mit den Bürgerinnen und Bürgern
erarbeiten – Alt und Jung. Mein Anliegen ist es, Menschen für dieses
sperrige Thema zu interessieren, damit sie sich an der Diskussion über
die Zukunft ihrer Stadt beteiligen.
Ein Beispiel: Die „Demographischen Stadtrundgänge“, die ich für
Bielefeld mit dem Historiker Thomas Niekamp entwickelt habe. Die Idee,
die dahinter steckt, ist einfach: Nach einer kurzen Einführung in das
Demographiethema und die Stadtgeschichte können Bürgerinnen und Bürger
hautnah erfahren, wie sich eine Stadt wandeln kann – von der
Vergangenheit in die Gegenwart mit Blick in die Zukunft. Diese
Rundgänge sind auf ein großes Interesse gestoßen. Und das bestätigt
mich in meinem Gefühl, dass Menschen sich durchaus informieren möchten
und Interesse an ihrer Stadt haben. Das ist unsere große Chance!
In Zukunftsvisionen wird of das Bild einer vergreisenden und kinderarmen Gesellschaft projiziert. Gibt es auch positive Aspekte?
Ja, wir betreiben viel zu viel Schwarzmalerei. Ich will das Thema
keineswegs schön reden, aber diese Horrorszenarien lösen vorrangig
Angst aus, und Angst ist ein schlechter Ratgeber. Und: mit der Angst
der Menschen lassen sich auch gute Geschäfte machen. Deswegen finde ich
es sehr gut, dass es inzwischen in einigen Medien eine Versachlichung
der Diskussion gibt.
Mein Anliegen in der Stadt Bielefeld ist es, dazu beizutragen, auch die
Chancen zu nutzen, die die Bevölkerungsentwicklung bietet. Das
„weniger, älter und bunter werden“ muss nicht zwangsläufig ein Drama
sein. Als positiver Effekt des demographischen Wandels gewinnt das
Thema „Familie und Kinder“ wieder an Bedeutung in unserer Gesellschaft.
So denken z.B. Politik und auch Firmen über eine bessere Vereinbarkeit
von Beruf und Familie nach, um gut ausgebildete Frauen im Unternehmen
zu halten.
Ich bin vom diesem offensichtlichen Mentalitätswechsel sehr
beeindruckt, Kinder- und Familienpolitik steht zum Glück inzwischen
ganz oben auf der politischen Agenda. Ein anderer Aspekt: Bessere
Berufschancen von Mädchen, denn die Wirtschaft braucht zukünftig durch
den Bevölkerungsrückgang dringend qualifizierte Arbeitskräfte. Außerdem
bietet der Bevölkerungsrückgang in "schrumpfenden Städten" die Chance,
Stadträume attraktiver zu gestalten und die urbane Lebensqualität zu
verbessern.