Halberstädter Tageblatt vom 6.3.2012
Ein großes Thema interessiert nur wenige Gäste
Von Gerald Eggert
Halberstadt Das Thema Bundespräsidentenwahl, zu dem die SPD in „Bollmanns Gaststätte“ eingeladen hatte, stieß auf geringes Interesse bei den Halberstädtern. Denn zum öffentlichen Stammtisch gesellte sich zu dem Dutzend Sozialdemokraten offensichtlich nur ein Bürger. Doch das tat der Veranstaltung keinen Abbruch, denn es entwickelte sich in der Runde eine interessante Diskussion.
Angeschoben wurde diese durch den SPD-Landtagsabgeordneten und Vizepräsidenten des Landtages, Gerhard Miesterfeldt. Er gehört als einer von fünf Sozialdemokraten zu den vom Landtag Sachsen-Anhalt bestimmten 19 Wahlmännern und -frauen des Landes, die auf der Bundesversammlung am 18. März in Berlin über den neuen Bundespräsidenten abstimmen.
Siegmund Hlady legte Wert darauf, als Parteiloser und schon immer politisch interessierter Bürger verstanden zu werden, der auch zu dem Thema des Abends eine Menge zu sagen hat. Der Halberstädter gab erst einmal zu verstehen, dass er erschüttert sei, dass Wulff sich als Opfer fühle und aufgrund seines „Rücktritts aus politischen Gründen“ den Ehrensold bekommt. Dann erinnerte er an ein Interview mit Joachim Gauck, als es um dessen eigene Reisen in die Bundesrepublik und die Ausreise seiner Söhne ging, die neun Monate später zur goldenen Hochzeit ihrer Großeltern aus der BRD einreisen durften. Er kön ne einige Beispiele nennen, wo schon Antragsteller als Staatsfeinde behandelt wurden. Wieso diese Ausnahme bei Gauck?
Miesterfeldt begründete diese mit: „Die DDR war ein Unrechtsstaat und sie war ein Willkürstaat. In dem Land war alles möglich.“ Mal sei eine Entscheidung so, mal völlig entgegengesetzt gefallen. Was die Reisen des evangelischen Pastors betrifft, so gab es „Reisekader auch im kirchlichen Raum“. Zu den Wulff-Vorwürfen entgegnete er, dass bislang nur Anschuldigungen im Raum stehen. Auch für ihn gelte, dass bis zum Beweis einer Schuld in Deutschland jeder als unschuldig anzusehen ist.
Ins Gespräch gebracht wurde in der Runde auch das Gerücht, Gauck habe Stasi-Kontakte gehabt, womöglich sogar für sie gearbeitet. Miesterfeldt sprach von vertaner Zeit, wenn man sich auf solche und andere Verschwörungstheorien einlasse. Er empfahl zudem, nach vorn zu schauen. Bundespräsident zu sein, sei „eine große Aufgabe mit wenig Aufgaben“. Zwei- bis dreimal im Jahr sollte das Staatsoberhaupt mit seinen Reden als Wegweiser auftreten, sich maßvoll für etwas einsetzen und das Muss der Gelassenheit größer als das Muss des Ehrgeizes sein.
Mehrheitlich war man sich einig, dass der Bundespräsident nicht durch das Volk gewählt werden sollte. Allerdings hätte man es auch besser gefunden, stünden mehr Kandidaten zur Wahl. Der Wunschkandidat von Rosemarie Lauenstein wäre Wolfgang Thierse gewesen. Sie warf auch einen Blick zurück in die Geschichte und sagte, dass Gustav Heinemann ein echter Bürgerpräsident gewesen sei und sie am meisten beeindruckt habe.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Joachim Gauck nicht zum neuen Staatsoberhaupt gewählt wird, schätzt der Landespolitiker als äußerst gering ein. Er selbst werde dem früheren DDR-Bürgerrechtler seine Stimme geben, antwortete Miesterfeldt auf die Frage von Wolfgang Purpus. Denn er habe sich mit der Person Gauck sehr intensiv auseinandergesetzt und halte ihn für intelligent und lebenserfahren genug, das höchste Staatsamt zu übernehmen. Er unterstütze aufgrund eigener Erlebnisse in Kindheit und Jugend („Ich habe mich in der DDR immer eingesperrt gefühlt.“) das Gaucksche Lebensthema Freiheit und dessen Eintreten für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Allerdings reicht Miesterfeldt das nicht aus, denn für ihn müsse auch soziale Gerechtigkeit mehr in den Fokus gerückt werden. Zudem wäre es seiner Meinung nach notwendig, dass sich junge, aber auch nicht mehr ganz so junge Leute mehr mit Geschichte beschäftigen. Denn: „Wer sich da nicht auskennt, hat große Probleme, in die Zukunft zu denken.“ Es sei geradezu notwendig, dass Gauck in dieser Richtung Anstöße gibt. Gänzlich einverstanden ist der Landtagsabgeordnete mit der Forderung nach mehr Verantwortung des Einzelnen in der Gesellschaft: „Das kann ich nur unterstützen.“