1919-1933 – Versuch des Aufbaus einer sozialen Demokratie in der Weimarer Republik
Den revolutionären Umbruch im Jahre 1918 schildert Erich Bordach, der Oberbürgermeister Halberstadts nach dem 2. Weltkrieg, so:
„Nach dem Ende des 1. Weltkrieges ging ein Aufatmen durch die Menschen in Deutschland. Der Krieg war verloren, die Monarchie gestürzt und der Kaiser nach Holland geflohen. Die Menschen, vor allem die Arbeiterschaft, am Kriege unschuldig, mußten durch ein bitteres Tal schreiten. Das Volk blutete aus allen Wunden und allerorts beklagte man Gefallene, Opfer eines wahnwitzigen Kriegsgeschehens. Wie durch ein Wunder hielten sich die Verluste von Parteimitgliedern in Grenzen.“
Weiter schrieb Erich Bordach in seinen Lebenserinnerungen:
„Die schrecklichen Jahre waren vorbei, es war wieder Frieden! Am 8. November wollte ich wie immer zum Unterricht in der Fortbildungsschule gehen. Als ich von der Kühlinger Straße kommend den Fischmarkt erreichte, war dieser schwarz von Menschen. Die Massen wogten auf und ab, es wurde erregt diskutiert. Man wußte, in Kiel hatten die Matrosen die Revolution entfesselt, die nun wie ein Lauffeuer über ganz Deutschland ging. Jetzt wartete man, daß auch in Halberstadt etwas geschehen würde. Es waren viele Soldaten anwesend, einige mit roten Armbinden.
Plötzlich fiel ein Schuß! Er war von der Treppe des Kreditvereinshauses Holzmarkt 22 abgefeuert worden. Die Massen drängten nach dort. Ein unbekannter Soldat verkündete den Beginn der Revolution und forderte die Massen auf, sich zu einem Marschblock zu formieren.
Aus war es mit dem Schulbesuch. Ich schloß mich dem Zug an. Das erste Ziel war die Wohnung des Stadtkommandanten im Lindenweg, wo dieser erklären mußte, den revolutionären Soldaten und Arbeitern keinen Widerstand zu leisten. Dann marschierten wir zur Infantriekaserne, wo sich die Wachen und viele Soldaten anschlossen. Als nächstes ging es zum Arrestlokal in der Harmoniestraße und zu den Gefangenen im Petershof und im Landgericht, wo die militärischen und politischen Gefangenen befreit wurden. Wo bei dem Marsch durch die Stadt oder in den Gaststätten Offiziere angetroffen wurden, riß man ihnen die Schulterstücke herunter, was uns Jungens besonders imponierte. Schließlich lösten sich Teile des Zuges auf und ich trollte nach Hause. Die erwartete Schimpfe des Meisters blieb diesmal aus.“
Den Ablauf der Ereignisse am 8. und 9. November 1918 schildert der ehemalige Leiter des Städtischen Museums Gerhard Ruhe im Novemberheft 1958 „Zwischen Harz und Bruch“ so: „Danach hatte die Halberstädter Lokalpresse bereits seit dem 5. November Nachrichten über den Verlauf der Revolution vermittelt. Auch in Halberstadt wurde ihr Beginn durch Soldaten der MPG-Kompanie des Infanterieregimentes 27 und dem technischen Personal der Militärfliegerschule organisiert.
Am 7. November hatte sich im geheimen ein erster Soldatenrat gebildet, dem die Soldaten Herrfurth, Dittmar und Recke angehörten und der am nächsten Tag durch Max Bollmann, Oberleutnant Dr. Baegensprung und den Kürrassieren Pflaumer und Scheffler erweitert wurde. In der Bollmann’schen Gaststätte fand am 8. November eine Sitzung des Soldatenrates statt, an der sich gleichzeitig ein Arbeiterrat konstituierte. Ihm gehörten paritätisch an:
von der SPD Ferdinand Gerlach, Paul Weber, Hermann Fischer und Helene Grunwald
von der USPD Otto Rische, Therese Hechler, Gustav Bollmann und Hermann Bollmann.
Es wurde beschlossen:
- Die Vergrößerung des Arbeiterrates durch 52 in den Betrieben zu wählende Vertrauensmänner
- Ein Forderungsprogramm an Kommandantur und Magistrat
- Proklamierung der Revolution am Mittag des 9. November
- Druck von Flugblättern und einem Mitteilungsblatt
Das letztere erfolgte noch in der Nacht und zwar in der „Gutenbergdruckerei“ des Genossen Gustav Schulze, Paulsplan 22.
Am 9. November fand auf dem Domplatz die große historische Kundgebung statt. Es sprachen dort der Soldat Herrfurth und der Sekretär der SPD Paul Weber.“
(Paul Weber wurde nach der Zerschlagung des Faschismus zum Ehrenbürger der Stadt Halberstadt ernannt.)
Die Verhältnisse nach dem 1. Weltkrieg waren wie nach jedem Krieg katastrophal. Viel Leid und Not war über die Menschen hereingebrochen. Nach dem Kohlrübenwinter 1917/18, bei dem aus Kohlrüben alles gemacht wurde, sei es Marmelade, Brot, Mitttagseintopf oder Abendessen. Durch die heimkehrenden Soldaten wurde die Lage noch beängstigter. Die Wirtschaft lag am Boden, Arbeitsplätze waren kaum vorhanden und dazu kam ein strenger Winter 1918/19 mit dem obligaten Kohlenmangel. Der Kaiser war geflohen, das verarmte Volk im Stiche lassend, und die Sozialdemokraten standen vor der Aufgabe die Geschicke des Staates zu ordnen und zu lenken. Sie standen vor der Entscheidung: Rätestaat oder Demokratie? In der Mehrheit entschied sich die SPD im Vertrauen auf das enttäuschte Volk für die Demokratie und damit wurden für den 19. Januar 1919 Wahlen zur Verfassunggebenden Nationalversammlung ausgeschrieben. Mit viel Enthusiasmus gingen die Halberstädter Sozialdemokraten an die politische Arbeit. In Halberstadt standen im Wettstreit um die Gunst der Wähler die SPD, die USPD und die bürgerlichen Parteien gegenüber. Überall las man die Losung. „Räterepublik oder Demokratie“. Am 22. Dezember 1918 wurde in Halberstadt der Wahlkampf für die Nationalversammlung unter der Losung „Für die Regierung Ebert-Haase“ eröffnet. Mehrere tausend Menschen gingen auf die Straße. Da die SPD im Arbeiter-und- Soldatenrat eine führende Rolle spielte, rief auch dieser zur Demonstration auf. Der Zug begann in der Unterstadt und endete auf dem Domplatz. Mehrere Redner der SPD sprachen zu den Demonstranten. Dabei nahmen sie auch Stellung zu den Abtrünnigen, den „Linken“, zur USPD. Auch die Spitzenkandidatin der SPD, Minna Bollmann, griff die kommunistisch gesinnten Anhänger der USPD an, weil diese die „Diktatur des Proletariats“ anstrebten, während die SPD für die Demokratie eintrat. Bei der Wahl am 19. Januar 1919 entschieden sich die Wähler in Stadt und Landkreis Halberstadt wie folgt:
- Wahlergebnisse Landkreis Halberstadt
- SPD 30.324 (58,3 %)
- USPD 1.969 (3,8 %)
- Deutschnationale 2.656 (5,1 %)
- Deutsche Volkspartei 4.383 (8,4 %)
- Deutsche Demokratische Partei 11.459 (22 %)
- Zentrum 1.232 (2,4 %)
- Wahlergebnisse Stadt Halberstadt
- SPD 14.214 (53,8 %)
- USPD 1.611 (6,1 %)
- Deutschnationale 1.109 (4,2 %)
- Deutsche Volkspartei 2.827 (10,7 %)
- Deutsche Demokratische Partei 5.909 (22,4 %)
- Zentrum 742 (2,8 %)
Als Abgeordnete für den Wahlkreis Halberstadt zog damit Minna Bollmann in die Verfassungsgebende Nationalversammlung ein. Da zugleich Kommunalwahlen stattgefunden hatten, hatten SPD und USPD eine „rote“ Mehrheit im Stadtparlament. Der bürgerliche Oberbürgermeister Dr. Gerhardt war 1920 zurückgetreten und an seine Stelle wurde der SPD-Vorsitzende Paul Weber gewählt. Dem Magistrat gehörten außer ihm die Genossen Falk, Glöckner, Dr. Pulvermann als besoldete Stadträte und die Genossen Willy Cohn, Treff, Schultze und Paul Wille als unbesoldete Stadträte an. Auch bei den am 26. Januar durchgeführten Wahlen zum Preußischen Landtag errang die SPD mit ihrer Spitzenkandidatin Minna Bollmann das Wahlkreisdirektmandat.
Für die USPD bedeuteten die Wahlen eine herbe Niederlage. Von einer Räterepublik nach russischem Muster hielten die Halberstädter nichts!
Jedoch wurde auch von der SPD der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht mit Empörung aufgenommen. Die Nachricht traf mitten in eine Wahlversammlung ein. Dr. Moritz Crohn und Paul Weber gedachten der Toten mit einer Schweigeminute und alle Teilnehmer erhoben sich von ihren Plätzen.
Um diese Zeit machte sich schon aus politischen Gründen eine am Ort erscheinende Zeitung notwendig, denn die seit 1890 verbreitete Magdeburger Parteizeitung „Volksstimme“ genügte nicht mehr. Im April 1918 wurde auf Betreiben der Partei, besonders durch die Initiative der Genossen Dr. Crohn, Ferdinand Gerlach und Willy Cohn, das im bürgerlichen Besitz befindliche „Halberstädter Tageblatt“ gekauft, dessen damalige Tagesauflage etwa 4.700 Exemplare betrug. Der Kaufpreis aus Gebäude, Einrichtungen und Abstandssumme betrug 198.000 Reichsmark. Das Unternehmen lief zunächst unter dem Namen Ferdinand Gerlach, obwohl es aus gesammelten Parteibeiträgen und -spenden finanziert wurden war. Aus abrechnungstechnischen Gründen baute man das Parteiunternehmen in eine „Paul Weber
GmbH“ um. 1925/26 vergrößerte man die Druckerei durch einen Anbau, für den man 102000 Reichsmark aufwendete. Diese Gelder stammten ebenfalls ausnahmslos aus der Parteikasse. Dem ersten Redaktionskollegium gehörten an: Dr. Herbert Kühn, Kurt Biging und Hermann Reichhardt. Ihre Nachfolger in der Redaktion wurden Artur Molkenbuhr, Richard Matheus, Wilhelm Kindermann und als langjähriger Redaktionssekretär Fritz Schmidt. Das „Halberstädter Tageblatt „ erreichte bald eine Auflage von täglich 10.000 Exemplaren. Dem Kollegium der firmenden „Paul Weber
GmbH“ gehörten als Gesellschafter die Genossen Franz Grunwald (Komsumlagerhalter), Ferdinand Gerlach (Möbelfabrikant) und Dr. Crohn an. In dem Genossen Treff hatte die Parteizeitung einen umsichtigen und versierten Geschäftsführer, der die Geschäfte von 1919 bis 1933 leitete. Am 2. Mai 1933 hißten die Nazis auf Druckerei und Parteihaus Domplatz 48 die Hakenkreuzfahne.
Das Erscheinen der SPD-Zeitung „Halberstädter Tageblatt“ am 1. März 1919 beantworteten die Kommunisten in der USPD mit den Verlassen dieser Partei. Elf dieser Abtrünnigen gründeten am 12. Mai 1919 auf Anweisung der Landesleitung der KPD Magdeburg eine Ortsgruppe der KPD. Die übrigen Mitglieder der USPD gingen zur SPD zurück.
Damit hatten die Kommunisten die Arbeiterbewegung in Halberstadt endgültig gespalten.
Am 9. November 1919, ein Jahr nach der November-Revolution, erlitt die Partei einen herben Verlust. August Heine, der rührige Agitator und Reichtagsabgeordnete der 80-iger Jahre des vergangenen Jahrhunderts war plötzlich verstorben. Er hatte die Partei jahrzehntelang mitgeprägt. Erst nach 1945 wurde nach ihm die bisherige Schäfergasse in „August-Heine-Weg“ umbenannt. Eine späte Ehrung!
Mit der Herrschaft im Rathaus der Stadt stand die SPD natürlich in der Verantwortung. Und sie nahm sie wahr.
Der am 18. März inszenierte Kapp-Putsch trieb auch in Halberstadt die Menschen auf die Straße. Dem ausgerufenen Generalstreik schlossen sich alle Betriebsbelegschaften an und marschierten zum Domplatz. 8.000 Menschen hatten sich hier versammelt und hörten die warnenden Worte des Oberbürgermeisters und SPD-Parteivorsitzenden Paul Weber, der von viel Beifall unterbrochen wurde. Das Volk siegte über die Putschisten!
Dem Landkreis Halberstadt stand bis 1926 der bürgerliche Landrat Wegener vor. Nach ihm übernahm der Genosse Hermann Müller, der zuvor Landrat in Quedlinburg war dessen Amt. „Nun hat Halberstadt außer einem roten Oberbürgermeister auch noch einen roten Landrat in seinen Mauern!“, schrieb voller Wut die konservative „Halberstädter Zeitung“.
Auch die Gewerkschaftsbewegung nahm nach 1918 einen großen Aufschwung, der so stark war, daß die Einzelgewerkschaften hauptamtliche Sekretäre einstellen mußten. Insgesamt gab es 21 Einzelgewerkschaften, die in einem Gerwerkschaftskartell vereinigt waren und als dessen Sekretär bis 1933 Otto Wolf fungierte. Die meisten Gewerkschaftsbüros befanden sich im ersten Stockwerk des Gewerkschaftshauses Gerberstraße 15. Nur die Metallarbeiter hatten ihr Domizil im Hause Bakenstraße 63 (Bollmanns Gaststätte). Während in der Hauptstadt Berlin sich die Reichskanzler die Klinke des Regierungspalais in die Hand gaben – immerhin fanden in der Weimarer Republik von 1919 – 1933 neun Reichtagswahlen statt – wurde in Halberstadt eine kluge und fortschrittliche Kommunalpolitik betrieben. Auf Initiative der sozialdemokratischen Parteimitglieder wurden folgende bis in die Jetztzeit positiv wirkende Projekte verwirklicht:
- Übernahme des Stadtgutes in Eigenbewirtschaftung und damit Sicherstellung der Ernährung vieler Halberstädter
- Kauf des 732 Morgen großen Osterholzes als Stadtforst zu Erholungszwecken der Stadtbevölkerung
- Schaffung von Wohnungraum für Sozialschwache durch Neubau von bezahlbaren Wohnraum in der Kattowitzer Straße, heute Junkersstraße
- Neubauten in der Minna-Bollmann-Straße, der Großen Ringstraße und Eigenheime im Nord- und Südweg und im Damaschkeweg
- Planung, Erschließung und Baubeginn der Gartenstadt „Sargstedter Siedlung“
- Erhaltung und Modernisierung des Straßenbahnnetzes durch neue größere Wagen
- Ausbau des bekannten Jugendstil-Stadtheaters in der Richard-Wagner-Straße
- Vergrößerung der Stadtwerke (Gasometer) in der Wehrstedter Straße
- Errichtung eines der modernsten Sommerbäder Deutschlands im Süden der Stadt
Ende der Zwanziger Jahre stieg beeinflußt durch die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise auch in Halberstadt die Arbeitslosenzahl an. Parallel dazu wuchs aber auch die NS-Bewegung Adolf Hitlers. Die parlamentarische Demokratie in Berlin geriet in eine tiefe Krise. Die Koalitionen, in denen die Sozialdemokraten als Wahrer der Demokratie mitregierten, fielen auseinander. Auch in Halberstadt versuchten die NSDAP und ihre Sturmabteilungen die Straße zu beherrschen. Dies führte natürlich zu Abwehrmaßnahmen der einheimischen SPD. Die „Eiserne Front“, eine antifaschistische Wehrorganisation wurde ins Leben gerufen. Alle Funktionäre rückten näher zusammen. Es galt vor allem das Parteilokal „Bollmanns Gaststätte“ und das Parteihaus Domplatz 48 mit der Druckerei des „Halberstädter Tageblattes“ zu schützen.
Doch die verhängnisvolle Geschichte nahm ihren Lauf; am 30. Januar 1933 waren dann die Würfel gefallen. Hitler wurde vom Reichspräsidenten Hindenburg zum Reichskanzler ernannt und die SA feierte ihren „Sieg“ mit einem Fackelzug durch das Brandenburger Tor. Bei den Halberstädter Genossen stand die große Frage: “Was werden die Führung der SPD und der Gerwerkschaft tun?“. Das Parteihaus und „Bollmanns Gaststätte“ wurde von Funktionären, Reichsbannerleuten und anderen Parteimitgliedern bewacht. Waffen hatte keiner der Anwesenden; aber viele hofften Waffen von der preußischen Polizei zu erhalten. In Halberstadt blieb es ruhig in dieser Nacht. Wie die Zeitungen am folgenden Tag berichteten, begann überall im Reich die Jagd auf Kommunisten und Sozialdemokraten und der braune Terror begann. In Halberstadt war es nicht anders. Sogar die SA-Männer der angrenzenden Dörfer halfen mit. Der Sekretär des Ortsvereins der SPD wurde aus dem Parteihaus Domplatz 48 gezerrt. Er konnte sich aber befreien und flüchtete zunächst. Auf der Straße in Richtung Ströbeck wurde er aber eingeholt und so verprügelt, dass seine Verletzungen zur Erblindung eines Auges führten. (Er blieb aber seiner Überzeugung treu und war im Jahre 1945 als Personalrat unter dem SPD-Oberbürgermeister Richard Gerloff wieder für die Partei aktiv. Später wurde er nach Halle versetzt und so für Halberstadt verloren.)
Jugend in der Partei
Die arbeitende Jugend in Halberstadt bekannte sich zur sozialistischen Weltanschauung mit selbstständiger praktischer Betätigung. Die Autonomie, die sie anstrebte führte die jungen Sozialisten zwangsläufig zur Opposition gegen die „Alten“. Dabei gab es Harte Auseinandersetzungen zwischen den „Romantikern“, die die schrankenlose Freiheit forderten, und den Intellektuellen, die die Vernunft und das Wissen auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Im Frühjahr des Jahres 1922 schlossen sich in Halberstadt junge Arbeiterinnen und Arbeiter zu einer Gruppe der Sozialistischen Arbeiter-Jugend (SAJ) zusammen. Als Leiter fungierten nacheinander Gustav Weber, Walter Wille und Albert Volkmann, wobei ihnen von der Partei der Genosse Otto Bahn als „Freund der Jugend“ beigegeben wurde. Die Heimabende fanden regelmäßig im Maria-Hauptmann-Stift am Torteich statt. Im Sommer desselben Jahres fand in Halle der Mitteldeutsche Arbeiter-Jugendtag statt, an dem sich ca. 300 Halberstädter Jugendliche beteiligten. Parallel zum Jugendtag fand eine Reichskonferenz der Jungsozilisten statt, auf der beschlossen wurde „Jungsozialistische Blätter“ herauszugeben, die von Engelbert Graf, dem Leiter der Metallarbeiterschule in Bad Dürrenberg redigiert wurden und die sich an die „Linksopposition“ der Partei anlehnten. In den dem Jugendtag folgenden Wochen kam es an einem Sonntagvormittag in der Bollmann’schen Gaststätte zur Gründung einer Gruppe der Jungsozialisten, die sich ein “linkes“ Arbeitsprogramm erarbeitete. Nunmehr begann eine rege Jugendarbeit. Gustav Weber war ein guter Organisator, wenn er für die SAJ und die Jungsozialisten zu Wochenendslehrgängen namhafte Referenten heranholte, wie: Engelbert Graf, Hendrik de Man, Max Adler, Karl Mierendorff, Erik Nölting u.a. Immer gab es lebhafte Diskussionen, die das politische Wissen und das Urteilsvermögen der Teilnehmer erhöhte. Doch nicht nur politische Schulungen verbanden die Jugendlichen, sondern auch ein fröhliches, ungezwungenes Freizeiterlebnis. Sonnabendsnachmittags wurde der Rucksack gepackt und los ging es in den Harz. Jugendherberegen und Zelte waren die Wochenendheime. Diese leben schweißte die Arbeiterjugend zusammen und ließ die politische Aufklärungsarbeit leichter fallen. Besondere Einsätze der Jungsozialisten waren die Volksbegehren und Volksentscheide zur Fürstenabfindung, aber auch die Aufklärung gegen den Panzerkreuzerneubau im Jahre 1928. Im Frühjahr 1930 besuchte Karl Dilßner, der Mitbegründer der SPD in Halberstadt nach der SED-Diktatur und Ehrenvorsitzende der Halberstädter SPD, im Rahmen eines Internatslehrganges an der Leipziger Volkshochschule im Rahmen einer Exkursion Halberstadt. Im Parteihaus Domplatz 48 traf er mit einigen Jungsozialisten zusammen und lernte auch dabei den späteren SPD-Oberbürgermeister von Halberstadt Erich Bordach kennen, mit dem ihn stets eine enge politische Freundschaft verband. Auch mit dem Parteisekretär Fritz Schütte und der Abgeordneten Minna Bollmann diskutierten die Jungsozialisten aus Leipzig. Mit den Kommunisten hatten die Jungsozialisten keine Bindung. Der Hitlerfaschismus machte auch der sozialdemokratischen Jugendarbeit im Juni 1933 ein Ende.