1949-1989 – Verfolgung der Sozialdemokraten in der DDR
Aber die Sozialdemokraten hielten fest zusammen, wußten sie doch, daß sie in den Tagen des demokratischen Aufbruchs 1945 an allen Kommandostellen der Wirtschaft in der Stadt SPD’ler eingebaut hatten, um das Schlimmste zu verhindern.
Nach der Ausrufung der DDR auf dem Boden der sowjetischen Besatzungsmacht am 9. Oktober 1949 glaubten sich die Kommunisten am Ziel Ihrer Wünsche. Legitimiert durch pseudodemokratische Zwangswahlen begannen sie ihre „Diktatur des Proletariats“ aufzubauen. Wie schon in den Jahren der SBZ gehörten jetzt zunehmend neben den wenigen aufrechten Vertretern der in der Nationalen Front gleichgeschalteten Blockparteien die ehemaligen Sozialdemokraten, die immer noch entscheidende Stellen in den kommunalen und Landesverwaltungen innehatten, zu den Opfern des stalinistischen Ulbricht-Regimes. Die ehemaligen Sozialdemokraten wurden daher besonders gern an die Parteischule, an die Leiter Beilicke und Moese sich aktiv hervortaten, delegiert und dazu zwangsverpflichtet.
Die Sozialdemokraten standen weiterhin zur Demokratie, aber dies paßte den kommunistischen „Lehrkräften“ gar nicht.
Karl Dilßner schriebt dies in seinem Buch „Schauprozeß von Halberstadt“.
Das Jahr 1950 hatte sich beim Ausbau der Konsum-Genossenschaft nahtlos an das Jahr 1949 angeschlossen. Aber man suchte einen Grund, wenn dieser auch einige Zeit zurücklag und eigentlich gar kein Grund war. Die Verhaftungswelle der KPD-ler mit ihrem Staatssicherheitsdienst setzte ein und in den Haftanstalten fanden sich alle sozialdemokratischen Funktionäre wieder. Der Meinung der Parteischulen und der Doktrin der „Partei neuen Typus“ folgend waren alle Parteimitglieder, die ehemals der SPD angehört hatten vogelfrei. Nach der Vereinigung war für viele Sozialdemokraten guter Rat teuer. Die neue Partei gab das Signal „Leute paßt auf“.
Den Ausweg zeigte die neugegründete Konsumgenossenschaft, in der sich viele SPD’ler wiederfanden. Aus dem Aufbau der SPD vor der Zwangsvereinigung hatten sie viel gelernt und dieses Wissen brachten sie in die neue Genossenschaft ein. Der Vorstand stand ausnahmslos hinter den Gedanken der SPD. Das Vertrauen in alle führenden Genossenschaftler bewiesen die steigenden Mitgliederzahlen:
04.03.1946 16 Mitglieder
30.06.1946 610 „
30.09.1946 3051 „
31.12.1946 3299 „
31.12.1950 5787 „
30.06.1946 610 „
30.09.1946 3051 „
31.12.1946 3299 „
31.12.1950 5787 „
und die Entwicklung der Verkaufsstellen:
24.04.1946 1
24.04.1946 1
30.12.1946 8
30.12.1947 17
30.12.1948 25
31.12.1949 38
30.06.1950 43
30.12.1948 25
31.12.1949 38
30.06.1950 43
und dabei wurde nicht, wie von der SED gefordert, ein einziger Einzelhändler enteignet.
So wie das Vertrauen in die junge Genossenschaft stieg, so stieg auch das Mißtrauen der SED in den „Halberstädter Konsum“, wie man ihn nannte. Mehr als einmal kamen die ehemaligen, sozialdemokratisch organisierten Arbeiter in die Vorstandszimmer des Konsum, um einmal ihr Herz auszuschütten und so von „Sozi“ zu „Sozi“ sprechen zu können und damit ihre Gedanken gegenüber einem alten Genossen äußern zu können.
Die SED wurde aufmerksam und handelte entsprechend.
Der von den Mitgliedsvertretern frei gewählte Konsumvorstand wurde abgesetzt, verhaftet, verurteilt und eingesperrt und durch einen SED-hörigen Vorstand ersetzt.
Parallel dazu wurde der beliebte Stadtrat Otto Bollmann verhaftet und es wurde ihnen Sprechverbot mit seinen Angehörigen auferlegt. Ihm wurde vorgeworfen, Getreide gelagert zu haben, das nicht der sowjetischen Besatzungsmacht gemeldet wurden war. Otto Bollmann wurde wie auch schon von den Nazis von den SED-Schergen eingekerkert. Bei einem Rundgang im Untersuchungsgefängnis, den man auch als Freistunde bezeichnete, sagte er zu seinem Mitgefangenen Karl Dilßner: “ Am Besten man hängt sich auf!“
In der nächsten Nacht wählte er aus Angst vor einer erneuten langen Haft, diesmal unter den Kommunisten, den Freitod. Die von dem Staatssicherheitsdienst der DDR inhaftierten ehemaligen SPD’ler trauerten um einen aufrechten Genossen. Auch viele andere noch in der Wirtschaft und Verwaltung verantwortlich tätigen „SPD’ler“ wurden allerorten verhaftet, wie in Halberstadt:
Otto Horenburg – Firma „Heine Wurstwaren“
Hans Ziegler – Spirituosen, Gröperstraße
Alfred Stöcker – Konsum-Fahrleiter
Wilhelm Braunschweig – Firma „Heine Wurstwaren“
So war das damals: Wer nicht spurte, wurde verhaftet.
In diese Zeit des Kampfes der Kommunisten gegen den sogenannten „Sozialdemokratismus“ fiel auch die Amtsenthebung des untadelig arbeitenden Oberbürgermeisters Erich Bordach, den man durch einen Jungkommunisten ersetzte. (S. Auch die Broschüre von Karl Dilßner „Schauprozeß in Halberstadt“)
Noch auf seinem Sterbebett äußerte sich Erich Bordach, daß an seinem letzten Ruheplatz kein SED-Anhänger sprechen dürfte. Willi Hartge und Karl Dilßner, also geladene Trauergäste, vertraten die „alte“ SPD am offenen Grabe.
Damit hatte man Anfang der Fünfziger Jahre die Sozialdemokraten mundtot gemacht bis sich am 17. Juni 1953 die Arbeiter der Ex-DDR erhoben.
Nach der Niederschlagung des Volksaufstandes war für lange Zeit der sozialdemokratisch geprägte Widerstand gebrochen. Zum einem wurden von dem kommunistischen Regime einige Erleichterungen geschaffen; zum anderen bot die bis zu 13.08.1961 offene Grenze die Möglichkeit zur Flucht in die Bundesrepublik Deutschland. Viele ehemalige Sozialdemokraten auch aus Halberstadt fanden dort eine neue Heimat und konnten als Sozialdemokraten wieder politisch aktiv mitarbeiten.
Nach dem Mauerbau 1961 war die politische Opposition in der DDR stumm. Die Entwicklungen des „Prager Frühlings“ und die Studentenrevolten in der Bundesrepublik im Jahre 1968 weckten bei den politisch Interessierten wieder neue Hoffnungen auf eine Demokratisierung auch in unserer Heimat. Aber die Niederschlagung der Demokratiebewegungen in der CSSR und in Polen mit Unterstützung der Ulbricht- und Honeckerregierungen ließ die Erwartungen an eine demokratische Entwicklung schwinden.
Mit der Ausbürgerung von Wolf Biermann 1976 und der „Helsinki-Bewegung“ begann eine neue Etappe der Oppositionsbewegung in der DDR. Unter dem Dach der Evangelischen Kirche, die in der Form ihrer Synoden die Demokratie stets beibehalten hatte, fanden sich die oppositionellen Kräfte zusammen. Umweltschutz, Frieden, Völkerverständigung und Freiheit der Meinungsäußerung waren die Themen dieser Demokratiebewegten. In Halberstadt fanden diese Bestrebungen in Form der Friedensdekaden in der Martinikirche jeweils im November ihren öffentlichen Ausdruck. Der Martinikreis, ein Zusammenschluß von engagierten Bürgern Halberstadts, wie Ute Gabriel und Johann-Peter Hinz, organisierte ab Mitte der Achtziger Jahre dann auch Kunstausstellungen, Konzerte, Vorträge und Diskussionsabende unter dem „schützenden“ Dach der Martinikirche.